Unterwegs im Wort
Die aus dem Banat stammende und seit 1992 in Ulm
lebende Schriftstellerin und Kunstpädagogin Ilse Hehn legt mit „Den
Glanz abklopfen“ Gedichte aus drei Jahrzehnten vor. Die Gliederung in
drei Teile geht von der Erfahrung des gefährdeten und gefährlichen
Umgangs mit Sprache und der Diktatur aus (1973-1983). Im zweiten Teil
(1983-1993) wird dem Leser die nicht zu unterdrückende Kreativität des
künstlerischen Ausdrucks vor Augen geführt. Diese mündet schließlich im
dritten Teil (1993-1998) in die Auseinandersetzung mit dem heutigen
Deutschland und ihre Auswirkung auf Sprache und Dichtung der Autorin.
Die Übergänge zwischen den einzelnen Teilen sind
fließend, denn immer ist es das Wort, das, zunächst achtsam geortet und
hymnisch besungen, die willkürlich gezogenen Grenzen überschreitet. Ilse
Hehn bedient sich der Sprache nicht, um in ihr zu verweilen, sondern um
sie zu durchbrechen: „sie durchbrechen / heißt alles“ in „Parolen“.
Dieser Durchbruch verhilft ihr und dem Wort zu einer Öffnung in anderen
Dimensionen, vornehmlich in die der Kunst. Schon rein optisch wird der
Leser darauf verwiesen, denn die ebenfalls von der Autorin stammenden
Collagen in diesem Band sind so aufeinander bezogen, dass Bild und Text
eine Symbiose eingehen, in der die wechselseitigen Aussagen beider
Kunstgattungen einander bedingen und darüber hinaus dieses Buch zu einem
ästhetischen Genuss für Auge und Hand werden lassen.
„Den Glanz abzuklopfen“ beginnt Ilse Hehn bereits
unter der Diktatur. In „Wir haben versucht“ heißt es mit feiner Ironie:
„heute ja heute da wünschen wir uns / kein rotes Osterei“. Das graue
Gesicht ihrer Stadt versucht sie gar nicht erst in ein graues Gedicht zu
bannen, da der Ausblick auf morgen keinen anderen Schluss zulässt, als
„unter alles einen schönen grauen Strich zu ziehen, rot“ (in: Morgen).
Mit „Lass uns sein“ kündigt sich schon der innere Aufbruch an, jene
Leichtigkeit der Feder (der Schreibenden), die die Leichtigkeit des
Vogels im Flug übersteigt.
Im zweiten Teil künden sich erste Risse an im Fußboden
(im System), die beunruhigen und die auch nicht durch die Wärme des
darübergelegten Teppichs beseitigt werden können. Von nun an „wird
gewürfelt um Brot und Fisch“ (in: “Knüpf dir die Augen auf“). Es geht um
Wort und Macht. Die Macht des Wortes tritt an gegen das Machtwort. Bevor
dieser Kampf entschieden ist, stimmt die Autorin noch einmal ihren
lyrischen Gesang an und lässt Landschaftsbilder von eindrücklicher
Schönheit in einer Kargheit entstehen, für die sie nur weniger Skizzen
bedarf, um sie in Seelenlandschaften zu verwandeln. So in „Rumänischer
Winter; Umzäunt; Banater Dorf mittags; Täglich“. Ein kleiner Schritt nur
ist es, persönliche Verlusterfahrungen mit dem Naturerlebnis zu
verknüpfen und es gleichzeitig zu überhöhen, denn „wir sind entlaubt /
in einer Liebe / die unvermessen blieb“ (in: Entlaubt). Und wieder ist
es das Wort, das treffende, rettende, das sie begleitende, wenn sie
spricht „von den Reusen im Wort / dem abgemähten Himmel“ (Rost).
Je weiter sich die Autorin an die Ränder des Wortes
wagt, um so kühner, experimenteller wird ihre Sprache. Konkretes öffnet
sich dem Visionären, denn „es gibt noch andere Wirklichkeiten“. Eine
davon ist die bildende Kunst, der die Autorin sich mit den Mitteln der
Sprache nähert. Von Betrachtungen zu Max Ernst, Salvador Dalì, Renè
Margritte und Marc Chagall geht sie aus und befindet sich alsbald „auf
der Suche nach der dritten Dimension“, eine Suche all derer, die
nirgends verwurzelt sind (Verwurzelt nirgends). Eine Triebfeder bei
dieser Suche ist die Sehnsucht, denn noch sind die Erlebnisse
patriotischen Arbeitsdienstes gegenwärtig (Schülerballade). Das Lied,
„das niemand kennt“ (Auf der Brücke), ist gefangen, aber es träumt sich
frei und „an den Rippen des Tages / frisst das Licht“ (August in
Michelsberg).
Im dritten Teil „Den Glanz abklopfen“, spricht die
Autorin den Tag an. Das Licht hat sich Bahn gebrochen, doch der Glanz,
der sich unter ihm entfaltet, ist fragwürdig. „Im Hinterhalt jeden
Zweifel / wach halten“, mahnt Ilse Hehn in „Nicht zu vergessen“. Dieser
Hinterhalt wird indes für sie zum Hintergrund, auf dem sie ihr gesamtes
Repertoire künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten entfalten kann. Mit
treffsicheren Metaphern und kühnen Bildern lässt sie frische Farben
aufleuchten, die die Möglichkeiten einer neuen Sehensweise eröffnen. Vom
lakonischen Aphorismus (Schnee) bis hin zu expressionistischen
Traumsequenzen, die das Konkrete einschließen wie die Muschel die Perle,
zeigt sie die Bandbreite lyrischer Möglichkeiten auf. Im Gedicht „Am
Strand“ heißt es: „wie dein Kuss in die Hand springt / ein Fisch mir
mitten ins Herz am Strand der / Müll unserer Zeit“.
Das Resümee ihrer Erfahrungen gipfelt in der Aussage
des Gedichts „Jetztzeit“. Es „gilt das was sich / am steilen Grat /
zusammengedrängt als kostbare / Jetztzeit Wir packen die / Sehnsucht in
Zeitungspapier zersägen die Sätze / in Worte Zäune für morgen Hektisch /
sprichst du von Liebe“.
Ilse Hehns Gedichte sprechen vom Unterwegssein im Wort
mit dem Wort. Sie haben es verdient, beim Leser anzukommen und von ihm
angenommen zu werden.
Anneliese Merkel |