„da geht jemand dicht hinter dir / in deinem Kopf“
Ilse Hehns origineller Umgang mit ihrer Securitate-Akte
„die Welt ist voller Zensoren / sie knipsen ihre
Tischlampen an / und alles hat plötzlich Bedeutung: / die Maschen
zwischen den Buchstaben / die Klänge im Bug der Worte / die
Registriernummer meiner Schreibmaschine - / Gegenwart die auf dir liegt
wie Gelatine / deine Lunge füllt statt der Luft // das kann nicht
funktionieren sag ich mir / dieses Schreiben / diese Verse eingepackt
bis zum Hals / leichenblass und feucht wie Angst // der Verdacht / da
geht jemand dicht hinter dir / in deinem Kopf“ Diese Verse mit dem Titel
„Überwacht“ hatte Ilse Hehn 1987 geschrieben, als sie noch im
kommunistisch regierten Rumänien lebte. Sie unterrichtete damals Kunst
an einem Gymnasium im siebenbürgischen Mediasch und hatte bereits zwei
Lyrikbände und zwei Kinderbücher veröffentlicht. Doch nicht alles, was
sie seinerzeit zu Papier brachte, konnte und wollte Ilse Hehn der
Öffentlichkeit anvertrauen. Auch wenn sie ihre Verse „bis zum Hals“
einpackte, sprich die Metapher überstrapazierte und sich eigenwilliger
Sprachbilder bediente, um ihre Botschaften transportieren zu können, war
die „Kopfpolizei“ omnipräsent und die Angst, sich zu weit aus dem
Fenster zu lehnen, zu stark. So kam es, dass das Gedicht „Überwacht“
erst jetzt Eingang in einen Band der in Ulm lebenden Dichterin und
bildenden Künstlerin fand.
In dem vor kurzem im Ulmer Gerhard Hess Verlag in deutscher und
rumänischer Sprache publizierten Band „Irrlichter. Kopfpolizei
Securitate“ setzt sich Ilse Hehn mit den Gespenstern der Vergangenheit
auseinander – die des Landes, in dem sie bis 1992 lebte, und ihre
eigene. In letzterer entdeckte sie nach Einsicht in ihre im August 2011
freigegebene Securitate-Akte neue, bisher unbekannte Seiten, die ein
unangenehmes und beklemmendes Gefühl auslösten. Der berüchtigte
rumänische Geheimdienst hatte sich schon in den siebziger Jahren an ihre
Fersen geklebt, nachdem sie der Europäischen Autorenvereinigung „Die
Kogge“ beigetreten war und einen jahrelangen brieflichen
Gedankenaustausch mit der damaligen Vorsitzenden dieser Vereinigung, Dr.
Inge Meidinger-Geise, pflegte. Hellhörig wurde die Securitate, als sie
1987 erfuhr, dass Ilse Hehn zur Mitwirkung an einer von Dr.
Meidinger-Geise vorbereiteten Anthologie zu dem Thema „Das verfolgte
Wort“ eingeladen worden war. Umgehend legte sie eine Akte zur
„informativen Verfolgung“ unter dem Decknamen „Kogge“ an und veranlasste
eine Reihe operativer Maßnahmen.
Ilse Hehn fand eine ganz eigene Art, mit den Irrlichtern der
Vergangenheit und den aus ihrer Securitate-Akte gewonnenen Erkenntnissen
umzugehen. Sie bedient sich dabei jener Ausdrucksmittel, die ihr als
Lyrikerin und Malerin zu eigen sind. Das sind „Gedichte, Notate,
Collagen, Malerei“, wie es im Untertitel des Buches steht. Durch die
Gegenüberstellung von in der Mehrzahl in den achtziger Jahren
entstandenen, bisher unveröffentlichten Gedichten und künstlerisch
verfremdeter Seiten des Buches „Geschichte der Rumänen“ von Constantin
und Dinu Giurescu (Albatros Verlag Bukarest, 1971) und ihrer
Securitate-Akte ist ein ebenso originelles wie aufschlussreiches
Lyrik-Kunst-Buch entstanden.
Im ersten Teil des Bandes mit der Überschrift „Irrlichter“ setzt die
Autorin der hölzernen Sprache der Diktatur, deren ideologisch gestanzten
Floskeln dem genannten Geschichtswerk entnommen und für den
Collagezyklus „Irrlichter“ titelgebend sind, ihre eigene, durch
Bildhaftigkeit, Subtilität und Raffinesse gekennzeichnete Sprache
entgegen. Mittels Lyrik und Kunst entlarvt sie die
ideologisch-propagandistischen Phrasen und Worthülsen eines totalitären
Systems, das nichts unversucht ließ, das freie Wort zu knebeln. Auf das
Grundmuster der Gegenüberstellung greift Hehn auch im zweiten Teil,
„Kopfpolizei Securitate“, dem eigentlichen Hauptteil des Bandes, zurück,
dem ihre Securitate-Akte zugrunde liegt. Sie transponiert die Begegnung
mit ihrer eigenen, in eine Akte komprimierten Vergangenheit auf eine
künstlerische Bildebene, indem sie ganze Seiten oder einzelne
Aktennotizen durch Übermalung und Collagieren verfremdet. Dadurch wird
die Akte, das Produkt einer entfremdeten Welt, „gleichsam
entmystifiziert“, wie Professor Anton Sterbling in seinem
aufschlussreichen Vorwort feststellt. „Letztlich möchte ich dem
vorliegenden Buch (…) allzu gerne die Botschaft entnehmen, dass mit den
Waffen der Kunst gegen ein ebenso stupides wie gewaltsames
Herrschaftssystem doch zu siegen ist, wie selten der vollkommene Sieg
des schönen Geistes über die Schreckensherrschaft in der tatsächlichen
Geschichte auch sein mag“, schreibt Sterbling. Ilse Hehns
beeindruckendes, aber auch anspruchsvolles Lyrik-Kunst-Buch möge einen
großen Leserkreis erreichen.
Walter Tonţa |