Eine Geschichte der Donauschwäbischen Häuslichkeit, der Arbeit und
der Feste, gestaltet mit farbigen Abbildungen von Gegenständen aller
Art, eingebettet in literarische und ethnografische Texte von Banater
Autorinnen und Autoren, ausgewählt und fotografiert von der Künstlerin
und Lyrikerin Ilse Hehn, erweist sich als eine besondere Art der
Sinngebung, wie Franz Heinz in seinem Geleitwort anmerkt. Kunstvoller
Handarbeit, die im schwäbischen Haus über ihren Gebrauchswert hinaus
„mit einem Hauch volkstümlicher Poesie und Moral“ versehen sei, hafte
„immer etwas zeitlos Humanes an, das uns heute mit ungeahnter Heftigkeit
berührt.“ Davon seien auch die vielen, oft unscheinbaren Dinge aus dem
Alltag betroffen, die uns „in der Nachbetrachtung die Vergangenheit im
vertrauten Umfeld wieder nahe bringen.“ Was hier als einfühlsames
Geleitwort ausformuliert ist, verdichtet sich in den einleitenden
Reflexionen der Autorin über das Gedächtnis der Dinge gleichsam zu einer
Anleitung bei der Bildbetrachtung und beim Lesen der begleitenden
lyrischen und Sach-Texte: „Ich versuchte Leerstellen zu bebildern, die
entstehen, wenn Raum und Dinge mitsamt ihrer Geschichte für immer zu
verschwinden drohen und mit ihm Ort, die sich der Mensch als
Erinnerungsnischen schafft.“
Konstruktive Erinnerung in Verbindung mit künstlerischer Gestaltung – in
dieser Intention umgesetzt heißt einen persönlichen und einen
geschichtlichen Raum sich wieder anzueignen, der als Banater Lebensraum
nach 1989 für viele Donauschwaben verloren ging. Und wie die Verbindung
von Erinnerungsarbeit und Lebensgeschichten dazu beiträgt, den
individuellen und kollektiven Gedächtnisspeicher mit Bildtexten wieder
auffüllt, zeigen die beiden handlichen Bände auf eine anziehende Weise.
Wo immer der Blick beim Aufschlagen einer Seite fällt, er wird entweder
von den bunt-bizarren, manchmal auch spröd-praktischen Gegenständen
gefesselt, oder er wandert von der Verszeile: Die Rose spricht, der Dorn
sticht, vergiss mich nicht! (Bd. 1, S. 43) hinüber zu einem Wandschoner,
einer Handarbeit, die auf Linnen die Konturen eines Schlosses und einer
üppig bestickten jungen Schönheit aufzeigt, die gerade in den
Dornenstrauch greift. Doch nicht nur folkloristisch verfestigte
Sinnsprüche dienen der Autorin zur Sinn gebenden Verdeutlichung von
Gegenständen. Ein Gedicht von Nikolaus Lenau, ein aus dem Banat
gebürtiger berühmter Dichter, dient der poetischen Verdichtung einer
Fotografie, die eine Wiege samt Puppe und Bettzeug, mit einem
Herzelstuhl davor, abbildet: „Ein schlafendes Kind! o still! in diesen
Zügen / könnt das Paradies zurückbeschwören; / es lächelt süß, als
lauscht es Engelschören,/ den Mund umsäuselt himmlisches Vergnügen.“
(Bd. 1, S. 51)
So könnte der Rezensent fortfahren mit immer neuen Aha-Erlebnissen, wenn
es nicht auch viele Doppelseiten gäbe, auf denen sich grobes Hausgerät,
bunt bemaltes Geschirr und Bettzeug mit „Paradekissen“ häuft und den
Betrachter gleichsam wehmütig an seine Kindheit in einem Banater Dorf
erinnern oder mit staunenden Augen die reichhaltige Ausstattung eines
donauschwäbischen Haushalts bewundern lässt. Butterfaß und Nudelseier,
Schneeschläger und Mörser, Keramikschüsseln und Waffeleisen reihen sich
da aneinander, um plötzlich von einer Beschreibung eines Stubenfensters
aus Balthasar Waitz’ Erzählungen „Krähensommer“ unterbrochen zu werden.
Der im Banat aufgewachsene Schriftsteller (Jg. 1950) hinterlässt mit
seinen poetisch verdichteten Erzählfigurationen ganz besonders
eindrucksvolle Erinnerungsbilder. So wenn Ilse Hehns Fotografie einer
Schranktür mit einem dahinter auftauchenden Männerporträt neben einem
Text abgedruckt ist, in dem der „schöne Anzug“ seines Vaters zu
Familienfeiern, zu Kirchgängen oder zur sonntäglichen Kartenpartie
ausgeführt wird (Bd. 1, vgl. S. 36/37). Doch nicht nur hochdeutsche
Schriftsprache fördert den Dialog zwischen den fotografierten Objekten
und den ausgewählten Texten. Auch der donauschwäbische Lokaldialekt
kommt häufig zum Einsatz, so bei der Abbildung eines Telefons (auf einem
Radio stehend) aus den 20er Jahren und einem Schwank über die Baure, die
nicht begreifen, wie ein Telefon funktioniert (Bd.1, S. 183).
Im Band 2 ist der Blick zunächst auf eine Reihe von Fotografien
gerichtet, die mit Tiefenschärfe und Hell-Dunkel-Kontrasten die Schatten
von Weinreben erfassen, und die blaugraue, saftige Farbigkeit von
Weintrauben vor schon verdorrten Blättern hervorheben. Sie dokumentieren
auch die Seiten einer Schulfibel, bilden eine Schiefertafel mit Schwamm
ab und belegen die reiche Sakralkunst am Beispiel von Wandkreuzen und
Kruzifixen. Neben diesen kunstvoll gestalteten Figurationen fallen die
Blumenornamente auf, die den Alltag und die Festtage ausschmücken.
Wiederum begleitet von Ausschnitten aus Erzählungen und ethnologischen
Darstellungen, wobei auch Fotocollagen das Wechselverhältnis von Bild
und Text dynamisieren. Allerdings verlieren sich einige Abbildungen (Bd.
2, S.120f) in Details, die den Betrachter da und dort verwirren. Auch
bei den Abbildungen der Musikinstrumente (Bassflügelhorn, Zither,
Violine) wären stärkere Konturierungen wünschenswert gewesen. Sehr
tiefenscharf sind hingegen die Abbildungen der Frontispize von Fach- und
Schulbüchern und der Titelblätter der deutschsprachigen Provinzpresse,
die in dichter Folge einen eindrucksvollen Nachweis der Buch- und
Zeitungskultur im Banat der Vorkriegszeit liefern. Den Abschluss des
Bandes bildet ein Collage aus Ansichtskarten und Familienfotos sowie ein
verwischtes Foto, auf dem tanzende Paare einen Abschiedswalzer tanzen,
begleitet von den lyrischen Impressionen aus der Feder von Horst Samson:
„Der Herbst ist kalt. / Und losgelassen / Fliegen die Blätter fremd /
Durch die Gegend. / Was siehst du dort Draußen, / ruft sie im Koffer
wühlend. / Blätter am Boden, ruf ich zurück, / Abgebrochene Äste und ein
Wind / Der uns mit sich reißt.“ (Bd. S. 209).
In diesem zweiten Band, dessen Umschlag ein spannungsgeladenes Ensemble
von weiß lasierten Porzellanvasen und – schalen sowie ein Blumengebinde
ziert, kommt ganz besonders die Vielfalt von kunstvoll gestalteten
Gebrauchsgegenständen neben den sorgfältig ausgewählten Texten zum
Ausdruck. Unter den Prosatexten befindet sich auch ein Ausschnitt aus
Herta Müllers frühem Erzählband „Niederungen“. Er beschreibt aus der
Perspektive der Ich-Erzählerin die qualvolle Prozedur beim Anlegen des
neunten Unterrocks, den ihr die Mutter – traditionsbewusst – überzieht,
was so abläuft: „Der neunte Rock ist lichtgrau wie die Pflaumen am
Morgen. Er schwimmt auf den steinernen Unterröcken. Ich spür nur seine
heiße Schnur.“ (Bd. 2, S. 141) Und beim Blick auf die Fotografie
verspürt besonders die Betrachterin, wie mühevoll sich die Einhaltung
der weiblichen Kleiderordnung im dörflichen Milieu noch in den 1950er
Jahren gestaltete. Die Unterröcke hängen wie zusammengeschnürte Bündel
im Kleiderschrank und drohen gleichsam mit Sanktionen, falls es jemand
wagen sollte, die lang gehegte Ordnung zu zerstören.
Mit solchen Querverbindungen zwischen Text und Bild liefert diese
Publikation ein anschauliches Beispiel für eine Tiefenanalyse, die die
ethnologisch reichhaltige Kultur des Banats aufspürt und sie
exemplarisch, da und dort auch ornamental verdichtend, darbietet. Diese
Fülle von fotografierten Gegenständen und Bildern, durch begleitende
Texte erläutert und auch konterkariert, bietet seinen Betrachtern keinen
rasch zu konsumierenden Einblick in eine Kulturlandschaft, die den
meisten nur noch aus Rundgängen durch Museen bekannt ist. Die einfühlsam
gestalteten Fotografien fordern ihre Betrachter vielmehr auf, einen
Dialog mit Texten zu führen, die bildhaft geworden, die allmählich aus
der Erinnerung schwindende Heimat zurückholt. Nicht als nostalgisches
Versatzstück, das verloren gegangen ist, sondern als Aufforderung, mit
der eigenen Geschichte ein andauerndes Gespräch zu führen. Ilse Hehn hat
mit ihrer dynamisch aufgeladenen Bild-Text-Publikation eine konstruktive
Grundlage für eine andere kulturgeschichtliche Betrachtung geliefert.
Und die ist ästhetisch verlockend, nüchtern und zugleich ornamental
gestaltet, künstlerisch überzeugend und mit anschaulichen Texten
angereichert, dank auch der fachlichen Beratung in Museen und mancher
Hinweise von Literaturwissenschaftlern.
Prof. Dr. Wolfgang Schlott |