Liebe Frau Hehn,
lieber Herr Dekan Gohl,
sehr geehrter Herr Wörner,
werter Herr Steenberg,
sehr verehrte Damen und Herren,
"Wir sind die Treibenden. Aber den Schritt
der Zeit, nehmt ihn als Kleinigkeit im immer Bleibenden.“
Dieser Auszug aus Rainer Maria Rilkes "Die Sonette an Orpheus / Erster
Teil" scheint geradezu aufs Engste mit unserem Münster verbunden.
Das immer
Bleibende - das Münster selbst, die Treibenden - die Menschen, die hinter
dem Bau dieses einmaligen Gotteshauses stehen: Münsterbaumeister, Handwerker,
die Ulmer Bürgerschaft, Mäzene. Diese Treibenden sind es auch, die dem Schritt
der Zeit getrotzt haben und noch immer trotzen, in der Schaffung und im
Erhalt dieses "immer bleibenden" Bauwerks.
In der über 600 Jahre dauernden
Bauhistorie des Ulmer Münsters war sich der Großteil der "Treibenden" bewusst,
dass sie niemals die Fertigstellung der Kirche würden erleben können - und
dennoch machten sie sich auf den Weg und leisteten ihren Beitrag. Sie sahen
den Schritt der Zeit als Kleinigkeit - mit einem klaren, hoffnungsvollen
und freudigen Blick auf dieses "immer Bleibende".
Und genau mit einem solchen
Blick hat sich Frau Ilse Hehn dem Münster genähert - und sie hat diesen
klaren, freudigen, würdigenden Blick in ganz wunderbaren Fotografien eingefangen.
Man erkennt auf jeder Seite des Bildbands: Das Münster will wahrgenommen,
will betrachtet werden - in aller Ruhe - in all seiner Meisterhaftigkeit.
Diese Einladung spricht das Band auch an seine Betrachter aus: Wahrnehmen
der kleinen dienenden Dinge im und um den Kirchenraum, Wahrnehmen des Alltäglichen
wie z.B. des alten Holzgestühls, Wahrnehmen des Besonderen wie den Bemalungen
und Schnitzereien. Seite für Seite wird eine neue Facette in den Fokus gerückt
- visuell, aber auch verstärkt durch die Verbindung mit den besonderen Gedichten
von Rainer Maria Rilke. Man schwingt beim Betrachten ständig zwischen zwei
Fragen:
Die erste Frage: Hat Rilke eventuell genau diese Facette unseres
Münsters betrachtet, als er die Zeilen schrieb? Die zweite Frage: Auf welche
Reise schickt uns die Künstlerin, wenn sie diese Fotografie mit eben diesen
Zeilen in Verbindung setzt.
Ilse Hehns Bilder, begleitet von Rilkes Poesie,
regen an zu einer neuen Betrachtung, zu einer bewussten Wahrnehmung und
einer besonderen Auseinandersetzung mit dem Ulmer Münster, das vielleicht
nicht nur für Ulmerinnen und Ulmer ein Sinnbild für Glaube und Hoffnung
ist.
Rainer Maria Rilke hat das "Kunstwerk" an sich einmal beschrieben als
tiefinneres Geständnis, das unter dem Vorwand einer Erinnerung, einer Erfahrung
oder eines Ereignisses sich ausgibt und, losgelöst von seinem Urheber, allein
bestehen kann.
Wie Ilse Hehn mit ihrem Werk eindrucksvoll zeigt, muss Rilkes
Definition eines Kunstwerkes noch erweitert werden, denn seine Werke bestehen
losgelöst vom Urheber nicht nur weiter, sondern können auch Teil eines neuen
Kunstwerks werden.
Ein herzliches Dankeschön gilt deshalb Frau Ilse Hehn
für Ihr künstlerisches Engagement und Ihre kreative Auseinandersetzung mit
unserem Münster, aber auch dem Team des Gerhard Hess Verlags allen voran
Herr Horst Wörner.
Sie haben uns hier ein ganz besonderes Geschenk zum 125jährigen
Jubiläum des höchsten Kirchturms der Welt gemacht haben!
Neue Sichtweisen
und einzigartigen Perspektiven dieses spirituellen Ortes zu entdecken, dieses
Erlebnis wünsche ich Ihnen, heute Abend und bei der Lektüre dieses herrlichen
Bild- und Lyrikbands!
Herzlichen Dank!
Sabrina Neumeister Leiterin Kulturabteilung der Stadt Ulm
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