Eduard Schneider

zum Buch: Den Glanz abklopfen


„Den Glanz abklopfen. Gedichte aus drei Jahrzehnten“

Gedichte, von denen die meisten noch in Rumänien, und solche, die nach der Übersiedlung nach Deutschland (1992) entstanden, vereint Ilse Hehn in diesem Band, für den sie ihr wichtig erscheinende Texte aus dreißig Jahren mit gutem Gespür ausgewählt hat. Sie sind bezeichnend für ihre Individualität als Lyrikerin, lassen aber auch einen teils prägenden Nachhall der neuen Tendenzen erkennen, die in der rumäniendeutschen Literatur der 70ger Jahre, als ihr Debüt erfolgte, zum Durchbruch gelangten. Bei der Durchsetzung dieser Bestrebung, für die sich besonders die junge, nach dem Krieg herangewachsene Generation stark machte, kam dem Beitrag der neuen Lyrik und der um sie herum stattfindenden Diskussion eine, man kann sagen, bestimmende Rolle zu, nicht zuletzt sicher auch darum, weil sie die meisten Freiräume bot, die als Zwang empfundenen, systemimmanenten politisch-ideologischen Sprachregelungen wirksam zu unterlaufen und der Dichtung dank einer entschlackten Sprache die Glaubwürdigkeit zurückzugeben, unabhängig davon, ob darin Befindlichkeiten des öffentlich-gesellschaftlichen oder des individuellen Erfahrungsbereiches zum Tragen kamen. In dem Gedicht, das die Autorin ihrem Sammelband voranstellt, wird, mit Bezug auf die Erfordernis des bedachten Umgangs mit Sprache, dieser Standpunkt als Gegenposition zur Phrasenhaftigkeit offiziöser Rede eingebracht: „Es hymnet laut / es wird aufgebaut / es friedet so / froh lichterloh / in einem fort / und achtsam ortet man / das Wort.“ Oder mit prägnant formulierter Programmatik auch in dem Text „Parolen“: „In Reih und Glied stehn die Worte / dicht gedrängt gegen das Leben // Sie durchbrechen / heißt alles.“

Die Autorin ortet sich so selbst wieder im Zusammenhang des Problem-Umfelds, in dem sie vor Jahrzehnten ihre literarische Tätigkeit aufnahm und entfaltete. Ilse Hehn schrieb dabei, wie auch die in ihre Auswahl aufgenommenen Gedichte erkennen lassen, eine Lyrik, die am Beispiel individueller Erfahrung auch zu gesellschaftlich relevanter Aussage zu gelangen trachtet. Öfter haben die Gedichte einen unverkennbaren autobiographischen Charakter, was ihren Erfahrungswert zweifellos erhöht. Benannt sind von der Autorin die Landschaft ihrer Herkunft, das Banat, Menschen des familiären Umkreises (Mutter, Schwester, der verstorbene Ehegatte, die Beschäftigung mit dem heranwachsenden Sohn), die berufliche Tätigkeit an der Schule einer siebenbürgischen Kleinstadt, schließlich ihre Ankunft in Deutschland und das wachsame Hineinwachsen in neue Lebensverhältnisse.

Eine Problemstellung, mit der sich Ilse Hehn bereits in ihren frühen Büchern engagiert befasste, war, mit weitläufiger sozialer Implikation, wie die gleichschaltende Routine des Umgangs miteinander eine sinnvolle persönliche Entfaltung des Individuums unterbindet. Die Autorin hat das öfter thematisiert, so in einigen Gedichten über Kinder, die sie auch in diesen Band aufnahm. Sie vermittelt das Anliegen, den einzelnen vor Verhaltensmustern zu bewahren, die die individuelle Persönlichkeit oft früh schon einebnen oder verformen: „Heute war ich auf dem Jahrmarkt / und sah Frauen / die aussahen wie rollende / Geldmünzen / wie Ellenbogen / die sich einen / Weg bahnen / ich sah Männer / die mich an durchlöcherte Zeltdächer erinnerten / an steil ansteigende Asphaltwege / oder einfach an nichts / ich begegnete Kindern / hob sie auf die Luftschaukel / auf das Riesenrad / und bewachte sie / stundenlang / vor den Frauen / vor den Männern.“

Auch für die erwünschte Erfüllung in der Partnerschaft wird es als eine Chance interpretiert, wenn die jeweils eigene Individualität dabei bewahrt bleibt, denn, gibt die Dichterin zu bedenken: „Liebe / das kann auch Abstand / bedeuten zwischen dir / und mir / Distanz / die uns das / Schwimmen ermöglicht.“ Illusionen machte und macht die Autorin sich eigentlich nie. Sie , lebend „zwischen Abschied und Ziel“, findet im Rückbezug auf sich selbst den letzten Rückhalt: „...mein Haar ist Falle kein Reim / hüllt morgens dich ein erwach ich neben dir / denn dir gehört etwas mir alles / vor allem die Wege zu mir.“

Ein unterkühltes, manchmal melancholisch grundiertes Parlando, das die Emotionalität keineswegs unterschlägt, von fern an den charakteristischen Sound einer Anemone Latzina erinnert, ist bezeichnend für die Tonlage von Ilse Hehns Lyrik. In längeren Erzählgedichten („Was allgemein bekannt ist“, „Schülerballade“, „Adam“), in Pastellen eindringlicher Beobachtung, die die von Geschichtlichkeit berührte Banater oder siebenbürgische Landschaft evozieren („Banater Dorf mittags“, „August in Michelsberg“), in Liebes- und Trauergedichten und einigen telegrammartig-knappen, aber bildstarken lyrischen Impressionen („Regennasse Erde / Es hat noch nicht geschneit / Schwarz der Baum // und wir.“; oder „Die Aufnahme ist unscharf // Die Unruhe in mir kaum zu erkennen // Doch mein Sohn / er lächelt“) hat sie wohl ihr Gültigstes gegeben. Die Collagen, mit denen sich die Lyrikerin Ilse Hehn zugleich als Künstlerin präsentiert, bilden mit den Gedichten eine stilistische Einheit. Sie hat, dazu passend, auch den Umschlag des gediegen ausgestatteten Bandes gestaltet.

 

Eduard Schneider