„Den Glanz abklopfen. Gedichte aus drei Jahrzehnten“
Gedichte, von denen die meisten noch in Rumänien, und
solche, die nach der Übersiedlung nach Deutschland (1992) entstanden,
vereint Ilse Hehn in diesem Band, für den sie ihr wichtig erscheinende
Texte aus dreißig Jahren mit gutem Gespür ausgewählt hat. Sie sind
bezeichnend für ihre Individualität als Lyrikerin, lassen aber auch
einen teils prägenden Nachhall der neuen Tendenzen erkennen, die in der
rumäniendeutschen Literatur der 70ger Jahre, als ihr Debüt erfolgte, zum
Durchbruch gelangten. Bei der Durchsetzung dieser Bestrebung, für die
sich besonders die junge, nach dem Krieg herangewachsene Generation
stark machte, kam dem Beitrag der neuen Lyrik und der um sie herum
stattfindenden Diskussion eine, man kann sagen, bestimmende Rolle zu,
nicht zuletzt sicher auch darum, weil sie die meisten Freiräume bot, die
als Zwang empfundenen, systemimmanenten politisch-ideologischen
Sprachregelungen wirksam zu unterlaufen und der Dichtung dank einer
entschlackten Sprache die Glaubwürdigkeit zurückzugeben, unabhängig
davon, ob darin Befindlichkeiten des öffentlich-gesellschaftlichen oder
des individuellen Erfahrungsbereiches zum Tragen kamen. In dem Gedicht,
das die Autorin ihrem Sammelband voranstellt, wird, mit Bezug auf die
Erfordernis des bedachten Umgangs mit Sprache, dieser Standpunkt als
Gegenposition zur Phrasenhaftigkeit offiziöser Rede eingebracht: „Es
hymnet laut / es wird aufgebaut / es friedet so / froh lichterloh / in
einem fort / und achtsam ortet man / das Wort.“ Oder mit prägnant
formulierter Programmatik auch in dem Text „Parolen“: „In Reih und Glied
stehn die Worte / dicht gedrängt gegen das Leben // Sie durchbrechen /
heißt alles.“
Die Autorin ortet sich so selbst wieder im
Zusammenhang des Problem-Umfelds, in dem sie vor Jahrzehnten ihre
literarische Tätigkeit aufnahm und entfaltete. Ilse Hehn schrieb dabei,
wie auch die in ihre Auswahl aufgenommenen Gedichte erkennen lassen,
eine Lyrik, die am Beispiel individueller Erfahrung auch zu
gesellschaftlich relevanter Aussage zu gelangen trachtet. Öfter haben
die Gedichte einen unverkennbaren autobiographischen Charakter, was
ihren Erfahrungswert zweifellos erhöht. Benannt sind von der Autorin die
Landschaft ihrer Herkunft, das Banat, Menschen des familiären Umkreises
(Mutter, Schwester, der verstorbene Ehegatte, die Beschäftigung mit dem
heranwachsenden Sohn), die berufliche Tätigkeit an der Schule einer
siebenbürgischen Kleinstadt, schließlich ihre Ankunft in Deutschland und
das wachsame Hineinwachsen in neue Lebensverhältnisse.
Eine Problemstellung, mit der sich Ilse Hehn bereits
in ihren frühen Büchern engagiert befasste, war, mit weitläufiger
sozialer Implikation, wie die gleichschaltende Routine des Umgangs
miteinander eine sinnvolle persönliche Entfaltung des Individuums
unterbindet. Die Autorin hat das öfter thematisiert, so in einigen
Gedichten über Kinder, die sie auch in diesen Band aufnahm. Sie
vermittelt das Anliegen, den einzelnen vor Verhaltensmustern zu
bewahren, die die individuelle Persönlichkeit oft früh schon einebnen
oder verformen: „Heute war ich auf dem Jahrmarkt / und sah Frauen / die
aussahen wie rollende / Geldmünzen / wie Ellenbogen / die sich einen /
Weg bahnen / ich sah Männer / die mich an durchlöcherte Zeltdächer
erinnerten / an steil ansteigende Asphaltwege / oder einfach an nichts /
ich begegnete Kindern / hob sie auf die Luftschaukel / auf das Riesenrad
/ und bewachte sie / stundenlang / vor den Frauen / vor den Männern.“
Auch für die erwünschte Erfüllung in der Partnerschaft
wird es als eine Chance interpretiert, wenn die jeweils eigene
Individualität dabei bewahrt bleibt, denn, gibt die Dichterin zu
bedenken: „Liebe / das kann auch Abstand / bedeuten zwischen dir / und
mir / Distanz / die uns das / Schwimmen ermöglicht.“ Illusionen machte
und macht die Autorin sich eigentlich nie. Sie , lebend „zwischen
Abschied und Ziel“, findet im Rückbezug auf sich selbst den letzten
Rückhalt: „...mein Haar ist Falle kein Reim / hüllt morgens dich ein
erwach ich neben dir / denn dir gehört etwas mir alles / vor allem die
Wege zu mir.“
Ein unterkühltes, manchmal melancholisch grundiertes
Parlando, das die Emotionalität keineswegs unterschlägt, von fern an den
charakteristischen Sound einer Anemone Latzina erinnert, ist bezeichnend
für die Tonlage von Ilse Hehns Lyrik. In längeren Erzählgedichten („Was
allgemein bekannt ist“, „Schülerballade“, „Adam“), in Pastellen
eindringlicher Beobachtung, die die von Geschichtlichkeit berührte
Banater oder siebenbürgische Landschaft evozieren („Banater Dorf
mittags“, „August in Michelsberg“), in Liebes- und Trauergedichten und
einigen telegrammartig-knappen, aber bildstarken lyrischen Impressionen
(„Regennasse Erde / Es hat noch nicht geschneit / Schwarz der Baum //
und wir.“; oder „Die Aufnahme ist unscharf // Die Unruhe in mir kaum zu
erkennen // Doch mein Sohn / er lächelt“) hat sie wohl ihr Gültigstes
gegeben. Die Collagen, mit denen sich die Lyrikerin Ilse Hehn zugleich
als Künstlerin präsentiert, bilden mit den Gedichten eine stilistische
Einheit. Sie hat, dazu passend, auch den Umschlag des gediegen
ausgestatteten Bandes gestaltet.
Eduard Schneider |