Dr. Inge Meidinger-Geise

zum Buch: Den Glanz abklopfen


Vorwort

 

Seit der Zerschlagung der sozialistischen Diktatur in Rumänien erfährt die deutschsprachige Literatur mit der nun offenen demonstrativen Repräsentation deutsch-rumänischer Autoren anhaltende Bereicherung. Aktuelle Erfahrungen von Einengung, ja Verfolgung und Widerstand schuf und schafft hier in frisch-mutiger Sprache voll eigenwilliger Metaphern in Prosa und Lyrik imponierende Aussagen. Von Dieter Schlesak bis Herta Müller, von Franz Hodjak bis Richard Wagner beispielsweise kann der Leser nacherleben, nachvollziehen, was in unserer Zeit sich nicht glättete an Diktaturen und mehr. Das Trauma der hier stellvertretend genannten Autoren blieb Realität!

Ilse Hehn studierte Bildende Kunst in Temeswar und wirkte als Gymnasiallehrerin für Kunst und Kunstgeschichte in Mediasch/Siebenbürgen. Seit 1973 veröffentlichte sie in ihrer Heimat in deutscher Sprache Lyrikbände und Kinderbücher. Lyrik-Anthologien in Rumänien, Deutschland, Österreich und Ungarn nahmen ihre sensiblen, vom Zeiterleben und dem seelisch-geistigen Widerstand gezeichneten Texte auf. 1988 erhielt sie den Lyrik-Preis “Adam Müller-Guttenbrunn“ in Temeswar und den Deutschen Kinderbuch-Preis in Bukarest.

Durchhalten und Kontakte „nach draußen“, wie die Zugehörigkeit zur Europäischen Autorenvereinigung „Die Kogge“ in Minden/Westfalen und der Esslinger Künstlergilde bestimmten Leben und Haltung. Die notwendige Übersiedlung 1992 führte Ilse Hehn nach Ulm, wo sie als Kunstpädagogin und Dozentin für Malerei wirkt.

Der neue Lyrikband „Den Glanz abklopfen“ gibt Rechenschaft über drei Jahrzehnte lyrischer Aussage, davon zwei wesentliche Abschnitte aus rumänischem Lebens- und Sichtbereich.

Der 1. Teil, 1973 – 1983, deutet die Auseinandersetzung mit diktiertem, politisch beengtem Wort und der Freiheit im Denken und Reden an. Der 2. Teil, 1983 – 1993, bekräftigt solche Durchbrüche. All dies geschieht ohne plakative Direktheit, eher weiblich verhalten und mit eingängigen Wortbildern: Das Gedicht “Nächtlich“ ist dafür ein Beispiel. Der Reim, das taktierende Melos, auch das Figuren-Gedicht demonstrieren die Formbewegung mit Tradition und Moderne der Lyrik auf natürliche Weise. Die Vielfalt der Aussagetechniken umschließt den Kern von Angst, Wissen um Nötigungen und leise Hoffnung auf Lösungen. Die Liebe ist da eine Kraft, wie das Gedicht auf die Mutter aussagt. Jedoch auch diese Kraft wird zumeist kritisch analysiert. „Angekränkelt“ im Hamlet-Sinne sind Gefühl, Wahrnehmung, Ausblick. Traum und Wirklichkeit stehen da nebeneinander. Auch die Kinderwelt, die Schulerlebnisse werden in die Spannung einbezogen. Ein besonderer Fund: Das elegisch bildereindringliche Naturgedicht „August in Michelsberg“. Hier zeigt sich das Aufgehobensein in unverbrauchter Sicht und Sprache. Der verstorbene Ehemann, der fast erwachsene Sohn leben mit im Rhythmus des Übergangs in das heutige Deutschland, dem der 3. Teil von 1993 – 1998 gewidmet ist.

Man öffnet sich lesend – teilnehmend der schwierigen Ein-Sicht in die kühle Offenheit des deutschen Lebens und der Problematik illusionsloser Anpassung. Ein Motto für das mutige Erkennen gestern und heute: „Den Glanz abklopfen“!

Jeder Satz dieses nachdenklich imperativen Gedichts könnte über dieser ganzen Lyriksammlung stehen. Er charakterisiert auf „Hehn’sche“ Weise die Tendenz der literarischen Zeit-Arbeit, auch der Landsleute der Autorin.

 

Dr. Inge Meidinger-Geise