Zum Geleit
In der deutschsprachigen Literaturszene Rumäniens, die
in den 70er und 80er Jahren auch jenseits der Landesgrenzen mit einem
gewissen Erstaunen und wachsendem Interesse wahrgenommen wurde, meldete
sich Ilse Hehn als Stimme einer neuen Dichtergeneration zu Wort, die die
Verhältnisse, in die sie hineingeboren war, mit den Mitteln der
Literatur zu hinterfragen begann. Eine besondere Rolle spielte dabei die
neue Lyrik, bot sie doch die meisten Freiräume, die als Zwang
empfundenen, systemimmanenten politisch-ideologischen Sprachregelungen
zu unterlaufen und der Dichtung dank einer entschlackten Sprache die
Glaubwürdigkeit zurückzugeben, unabhängig davon, ob darin
Befindlichkeiten des öffentlich-gesellschaftlichen oder des
individuellen Erfahrungsbereiches zum Tragen kamen. „In Reih und Glied
stehn die Worte / dicht gedrängt gegen das Leben // Sie durchbrechen /
heißt alles“, formulierte Ilse Hehn damals in dem Text „Parolen“ als
Zielsetzung ihres Schreibens, das für sie eine auch ins
Gesellschaftliche zu übertragende Geste der Befreiung bedeutete.
Eingedenk der Erfordernis eines bedachten Umgangs mit der Sprache ist
ihre Lyrik am wirksamsten dort, wo eindringliche Beobachtung ins genaue
poetische Bild umgesetzt ist. Besondere Erfahrungswerte übermitteln
Gedichte mit unverkennbar autobiographischem Hintergrund. Eingebracht
werden darin Landschaft der Herkunft, die Ankunft in Deutschland und das
wachsame Einleben in die neuen Verhältnisse. Immer wieder wehrt sich die
Lyrikerin gegen Routine des oberflächlich-gleichgültigen oder
vereinnahmenden Umgangs miteinander, durch die die zwischenmenschliche
Beziehungen wie auch der Vollwert des Einzelnen bedroht sind. Ein
unterkühltes, manchmal melancholisches Parlando, das die Emotionalität
keineswegs ausspart, ist bezeichnend für die Tonlage der Lyrik Ilse
Hehns. Einprägsame spruchhafte Texte stehen neben längeren
Erzählgedichten, berührende Liebesgedichte neben Pastellen und
Impressionen, die mitunter an die japanische Landschaftsmalerei
erinnern.
Eduard Schneider |