Ingmar Brantsch

zum Buch: Lidlos


"Der Realität lidlos ins Auge geschaut"

Die lyrischen Texte dieses Bandes führen aus der Entzauberung der Wunschmöglichkeiten zur schmerzlichen Klarheit der alltäglich erlebten Realität.

Diese ist aber nicht auszuhalten ohne die Sehnsucht, sie wieder zu überwinden. Doch nicht einfach durch Flucht aus der Wirklichkeit in die angenehme Unverbindlichkeit neuer Wunschvorstellungen, sondern durch den Versuch, aus den vorhandenen Gegebenheiten unerwartete Erkenntnisse herauszufiltern. So kann der nüchterne Alltag auch anders, tiefschürfender betrachtet werden.

Schon der Eingangstext enthält leitmotivmäßig: „Der Tag ist leicht bläulich / wie Bahnhofsbeleuchtung / wie schmales Leben / Die Gleichgültigkeit seiner Farbe erweckt Sehnsucht / nach Leere / die Lust nach Winter / - verpackte Zeit - / kaum ansprechbar / die Toten in / unserer Haut.“

Aus dem „riesigen Rachen Kabel“ zieht Ilse Hehn Worte an den Strand, wo „Boote lagern in / Schuppen / ausgeträumt bis zum / Rand der Sprache.“
Aus dem Informationsoverkill, der tagtäglichen Medienberieselung, werden nur einige Worte in Boote gerettet, in Rettungsboote, um sie aus dem alles verschlingenden Unverbindlichkeitssprachfluss herauszufischen.

Eine von der Autorin öfter benutzte Möglichkeit, sich dieser unentwegten Normierung zu entziehen, ist Reisen auf eigene Faust, auf eigene Sicht in nicht touristisch verplante Gegenden, oft abgelegen. Norwegen, Schottland, Israel, Rumänien. Hier kann das Unerwartete dann jenseits aller Konsumwelten eintreten: “der Fjord unter mir / eine Falltür zur Ewigkeit.“

 

Ingmar Brantsch