“…und achtsam ortet man
das Wort”
“Ich bin kein Opfer” So die Lyrikerin Ilse Hehn-
provozierend und vielleicht doch nicht?- anlässlich einer Lesung aus
ihrem jüngsten Lyrikband “Irrlichter. Kopfpolizei Securitate”. Wenn man
dieses zweisprachige Buch (Übersetzung ins Rumänische von Marlen
Heckmann Negrescu) gelesen, seine lyrische Botschaft entziffert hat,
kommt man nicht umhin auch den Satz “Ich bin kein Dissident” probeweise
hinzuzufügen. Oder vielleicht doch nicht? Das Buch enthält nach dem
Prinzip “Spiegel und Zerrspiegel” in Gedichten, Notaten, Collagen,
Malerei eine poetische Auseinandersetzung mit einem tristen
Erfahrungsbereich, dem dogmatischen und gewalttätigen Ceausescu-Regime
und dem auch von ihr durchlebten Irrsinn der alles beherrschenden
Kopfpolizei Securitate. “So, dass die Kunst am Ende siegt…” bringt Anton
Sterbling diese Aussage in seinem Vorwort treffsicher dem Leser nahe.
Die aus dem Banat gebürtige Autorin wurde wie viele andere Schreibende
dieser Zeit schon Anfang der 70gern von der Securitate überwacht und
bespitzelt. Die ganze Macht des Wortes, die Subversität der Kunst,
zeigen sich in ihren Gedanken über dieses überwachte Leben, die als
Schleusgut in ihre Gedichte eingeflossen sind und durch ihre
metaphorische Sageweise immer wieder den langen Scheren der Zensoren
entgehen. “und achtsam ortet man das Wort” bekennt die Autorin in ihrem
Gedicht “Es hymnet”, schon 1973 erschienen. Dass der freie Geist im
Reich der Gewalt zuweilen doch kein leichtes Spiel, stets eine
gefährliche Gratwanderung zu schaffen hatte, bezeugt dann das Gedicht
“Hier wird gewürfelt” (aus dem Band “Das Wort ist keine Münze”, 1988,
Rumänien): “hier wird gewürfelt/ um Brot und Fisch/ hier wird geknebelt
geleckt zerkaut/ geschwiegen gesprochen/ gekauft/ das Wort/ die Macht”.
Die letzten fünf Zeilen wurden damals von der Zensur gestrichen. Der
Allgegenwärtigkeit des Regimes und der Securitate konnte man nicht
entgehen: “Über den Dächern/belauscht uns Gott, der Große Bruder” oder
“der verdacht/ da geht jemand dicht hinter dir/in deinem kopf.” Jedoch
man konnte diese unterwandern, ihr den Spiegel vorhalten.
Ilse Hehn debütierte 1973 mit ihrem Lyrikband “So weit
der Weg nach Ninive”. Mit dem jüngsten Band macht die Autorin den
letztlich geglückten Versuch auf die Frage “Wie mit den Folgen einer
gewalttätigen Zeit zurechtzukommen und zu leben” eine Antwort zu finden.
Die Autorin wird auf ihre Art, ohne Zähneknirschen und Verbissenheit,
mit den bösen Gespenstern ihrer Vergangenheit fertig. Der Schlüssel dazu
hat ihr die künstlerische Verfremdung geboten.
Spät, im August 2011, bekam Ilse Hehn bei CNSAS in
Bukarest Einsicht in ihre Securitate-Akte mit dem Namen “KOGGE” (Sie war
und ist auch heute Mitglied dieser deutschen Autorenvereinigung). In
ihrem Buch werden Kopien dieser Aktennotizen umrahmt von Malereien als
Zitate gebracht und künstlerisch transponiert. So wird dieses Kapitel
ihrer und unserer Vergangenheit dokumentiert, beleuchtet und
neugedeutet. Bekanntlich hat die Auseinandersetzung mit den
Securitate-Akten zu vielen Studien, auch Buchveröffentlichungen geführt.
Autoren wie Herta Müller (Cristina und ihre Attrape,2009), Johann Lippet
( Das Leben einer Akte,2009) oder Frieder Schuller (Theaterstück “Ossis
Stein oder Der wirft den ersten Buch”, Uraufführung 2012) verarbeiteten
auf ihre Art und Weise dieses weiterhin aktuelle und längst nicht
abgeschriebene Thema.
Die Lyrikerin und bildende Künstlerin Ilse Hehn tat
es, wie in etlichen ihrer Bücher, lakonisch und knapp im Wort, die
Essenz suchend, wobei im Privaten das Gesellschaftliche aufscheint, doch
auch mit einer bestechenden Experimentierfreudigkeit, durch die
Zweisprachigkeit, die kunstvolle Aufmachung, durch Malerei, Grafik und
Fotokunst dem Wort leuchtende Farben zu verleihen und neue Freiräume zu
erschaffen.
Balthasar Waitz |