Banatschwäbische Lebenswelt in trefflichen Bildern und Worten
Ein herausragendes Erinnerungsbuch von Ilse Hehn
Die Dichterin und bildende Künstlerin Ilse Hehn – eine
bei den Banater Schwaben seltene, wenn nicht einmalige Doppelbegabung –
überrascht immer wieder mit ihren originellen, ganz eigenwilligen
Büchern, die in keine gängige Schublade passen. Im Wettstreit erscheinen
zuweilen Bilder und Texte in ihren reich bebilderten Publikationen.
Malerei und Grafik, Collage und Fotografie wechseln einander ab,
Gedichte und kurze Prosa fügen sich ein. Ihr geradezu europäisches
Reise-Kunstbuch „In zehn Minuten reisen wir ab...“ (2008) ist ein
beredtes Zeugnis ihrer Weltläufigkeit und Experimentierfreudigkeit.
Und nun – mit ihrem neuen Buch, in dem ihre
Fotografien und Collagen das Feld beherrschen - zurück in die
heimatlichen Banater Gefilde, zurück zu den Wurzeln! Ist das ein
Widerspruch? Ganz und gar nicht. Vielmehr scheint der weite
Erfahrungshorizont der Autorin – die Banater Kindheit und Jugend
selbstverständlich mit eingeschlossen – den Blick auch dafür freigemacht
zu haben, „den persönlichen wie auch den geschichtlichen Raum hinter den
Dingen zu sehen“, wie sie es im einführenden Text „Das Gedächtnis der
Dinge“ formuliert. Sie lässt keinen Zweifel an der Intention des Buches.
Es will „künstlerisch überformte Erinnerungsarbeit“ leisten und bietet
eine „assoziative Geschichte Banater Lebens“ an. Im Grunde ist es ein
Buch gegen das Vergessen einer bereits (halb)versunkenen
banatschwäbischen Lebensart, ein künstlerisch anspruchsvolles,
souveränes Unterfangen, Vergangenes in die Gegenwart zu retten und für
die Zukunft zu bewahren, als einen besonderen heimatlichen
Erinnerungswert .
So erzählen die von Ilse Hehn mit feinem Sinn für das
Detail fotografierten Dinge aus dem dörflichen und wohl auch
bürgerlichen Banater Alltag von den Lebensspuren der Generationen des
19. und 20. Jahrhunderts. Der Blick gleitet in die banatschwäbische
Innenwelt, in die „Geschichte der donauschwäbischen Häuslichkeit, der
Arbeit und der Feste“ (Franz Heinz), zuweilen jedoch auch in
traumatische Geschichtserlebnisse, die von den abgebildeten Dingen nur
angedeutet werden. Sie mit eigener Vorstellungskraft und Erfahrung
auszufüllen, oder mit erzählter Familienüberlieferung zu beleben, bleibt
dem Betrachter selbst überlassen. Im Angebot dieser Freiheit an den
Leser, ein eigenes Heimatbild zu gestalten, liegt eine besondere Stärke
des Buches. Ganz vergönnt dürfte es nur noch den letzten
Erlebnisgenerationen sein.
Motive des einfachen Lebens im banatschwäbischen Haus
und in der Wirtschaft werden von Ilse Hehn mit sensiblem Gespür für die
kulturgeschichtliche, ethnographische und nicht zuletzt für die
heimatlich-emotionale Aussagekraft der Bilder ins Auge gefasst, ohne auf
eine gewisse Sachlichkeit zu verzichten. Denn Sentimentalität gehört
nicht zu ihrem Repertoire. Eine Abgrenzung in einzelne sachlich
begründete Abschnitte strebt Ilse Hehn nicht an. Doch wird der
Betrachter und Leser eingefangen von der stetigen Erweiterung der so
farbintensiv abgebildeten Dingwelt in verschiedene Lebens- und
Arbeitsbereiche, von der zunehmenden Vielfalt der Eindrücke und deren
Ausweitung ins Symbolische – Zeit und Vergänglichkeit, Schönheit und
Licht – sowie ins Historische – Krieg, Deportation und Auswanderung: vom
Herd ins Haus, dann ins Dorf und Feld, schließlich in die Welt.
Zunächst stehen die unverzichtbaren Dinge des
täglichen Lebens im Vordergrund: irdene Wasser- und Milchkrüge,
Brotmulter (oder -mulder!) und Hausbrot, Sparherd und Mörser. Die Küche
als Mittelpunkt bäuerlichen Lebens – neben der Arbeit, versteht sich! -
erscheint geradezu leitmotivisch in Ilse Hehns Bildbänden. Ein Hohelied
auf die Kochkunst bringen malerische Abbildungen zum Klingen: alte
Rezepte und Kochbücher, Küchengeräte aller Art, auch ein „Paradeis-Passierer“.
Der Radius wird erweitert durch typische Elemente der Lebensformen, die
mitunter mit leicht ironischem Unterton oder verständnisvollem
Augenzwinkern vermittelt werden. So war das halt: das Bett mit
„Paradekissen“, der liebevoll geordnete Wäscheschrank, die sorgfältig
gestickten Wandschoner mit nimmermüden Sinnsprüchen. Überhaupt die
Handarbeiten, vom gestickten Taufkissen bis zum ausgebreiteten Makramee
auf dem schönen Möbel. Dafür ist das offene Nähkästchen eine richtige
Arbeitshilfe: Nadelkissen und Fingerhut, Zwirn und Zentimeter, Stopfei
und Stopfpilz aus Holz usw., usf. Eine Nähmaschine der Marke „Singer“
ist nicht weit weg und auch der Hinweis auf Trachten, gekrönt mit einer
Reihe von üppig geschmückten Kirchweihhüten, wie denn auch die Kirchweih
an anderer Stelle bildlich und textlich (Josef Gabriel d. Ä.)
vergegenwärtigt wird. Die Harmonie bleibt nicht ungetrübt: neben dem
farbigfrohen Kirchweihhut steht ein durchlöcherter Soldatenhelm!
Und dann das Porzellan bis hin zur vergnüglichen
Kaffeetafel, die dann schon ins Bürgerliche zielt, wie die Temeswarer
Kaffeehäuser.
Zum banatschwäbischen Haus gehörten die Welt des
Kindes und Zeichen des religiösen Lebens. Daran erinnert Ilse Hehn auf
der einen Seite mit Taufandenken, Kinderwagen, Kinderstuhl und Wiege
sowie dem wunderbaren Gedicht „Ein schlafendes Kind“ von Nikolaus Lenau;
auf der anderen Seite mit Bildern von Wandkreuzen, Messbüchern, einem
Klingelbeutel und Andenken an Maria-Radna. Auch die Schule wird von der
Autorin nicht übergangen.
Alte Werkzeuge und Geräte belegen sodann die
traditionelle Arbeitswelt der Bauern und Handwerker, deren
Lebensgrundlage durch schnittreifen Weizen (mit Wasserkrug!) und hohe
Mais-Stauden, Weintraube und Wassermelone und andere Früchte der Erde
veranschaulicht werden.
Das Dorfbild scheint diskret auf in „schwäbischen
Hausgiebeln“, einem Storchennest und Gänsen an der Dorfstraße, versehen
mit ansprechenden Texten von Hans Diplich, Julia Schiff und Hans Wolfram
Hockl. Auf die Rolle der Musik und auf presse- , kalender- und andere
druckgeschichtliche Zeugnisse nimmt die Autorin Bezug am Schluss ihres
reichhaltigen Werkes. Die musikgeschichtlichen Texte stammen von Franz
Metz.
Ja, überhaupt die Texte: poetisch und dokumentarisch,
passend ausgewählt zu fast allen Bildern oder Bildmotiven, nicht
beschreibend plakativ, sondern weiterführend und anregend. Sie sind den
Werken Banater Autoren entnommen: von Adam Müller-Guttenbrunn und
Heinrich Lauer, Ludwig Schwarz und Balthasar Waitz, Franz Heinz und
Horst Samson, Johann Peter Petri und Josef Wolf, Barbara Gaug und Hans
Gehl, Erich Lammert und Hans Niedermayer u.v.a.
Ilse Hehn gibt uns Bilder an die Hand, die uns ganz
eigenes Erleben in Erinnerung rufen, die jedoch Teil der Geschichte
einer Gemeinschaft sind. Sie bietet dies zurückhaltend, authentisch aber
auch anrührend an. Mir scheint in diesem Zusammenhang die Aufreihung der
Koffer-Bilder eine einmalig dicht gedrängte Rückschau zu sein, in der
sich jeder wiederfinden wird, im Bild des Koffers als Abschieds-, Reise-
oder Fluchtgepäck: der Karton- und Leder-Koffer, der Reise- und
Soldatenkoffer, der Deportierten-Koffer – dieser mit „Laufdistel“ und
aufwühlendem Bărăgan-Text von Julia Schiff - und schließlich die
Auswanderer-Kiste. Sie steht neben den ins Ungewisse laufenden
Eisenbahngleisen.
Dr. Walter Engel |