„Im Stein“


 

WENN KEINE FARBEN MEHR

 

Wenn keine Farben mehr um dich sind

kein Geruch

auch die Musik nicht mehr

bleiben dir immer noch die Worte

die quadratischen

die runden

langen

schweren

selbst die mit kleinem Gewicht gehen

nie verloren

die Worte

immer bereit dem Leben

ins Auge zu sehn

täglich

bis spät nach Mitternacht

bereit

selbst während des Schlafes

bei dir zu wachen

in deinem Haar

das nun auf dem Polster noch

müder erscheint

abrufbar

bei jedem Erwachen sammeln

sie sich in deinem Kopf

Silbe für Silbe

summen

klingen

froh bei dir zu sein

fallen dir schon beim Zähneputzen

aus dem Mund

sagen hallo wir sind da

Du schaust ihnen in die Augen

weißt jetzt schon

auch heute sind sie die einzigen Freunde

die sich bewähren

selbst das Wenn und Aber

 

*  *  *

 

VALENTINSTAG

 

Schenk mir Kiesel vom Fluß den

Fisch der fliegt kein Tisch

lein deck dich Auto reck

dich mich freut eine Fahrt zu keiner

Südsee trink Tee mit mir

verschenke keinen schönen

Traum ich brauche nur ein

Brett aus deinem Lattenzaun

 

*  *  *

 

TURM
ULMER
MÜNSTER

 

Gesicherste

Spur

dem Horizont zu

entfliehn

den man uns legt

um Stirn

Mund

Herz

 

KLAPPENTEXT:

Zum Geleit

In der deutschsprachigen Literaturszene Rumäniens, die in den 70er und 80er Jahren auch jenseits der Landesgrenzen mit einem gewissen Erstaunen und wachsendem Interesse wahrgenommen wurde, meldete sich Ilse Hehn als Stimme einer neuen Dichtergeneration zu Wort, die die Verhältnisse, in die sie hineingeboren war, mit den Mitteln der Literatur zu hinterfragen begann. Eine besondere Rolle spielte dabei die neue Lyrik, bot sie doch die meisten Freiräume, die als Zwang empfundenen, systemimmanenten politisch-ideologischen Sprachregelungen zu unterlaufen und der Dichtung dank einer entschlackten Sprache die Glaubwürdigkeit zurückzugeben, unabhängig davon, ob darin Befindlichkeiten des öffentlich-gesellschaftlichen oder des individuellen Erfahrungsbereiches zum Tragen kamen. „In Reih und Glied stehen die Worte / dicht gedrängt gegen das Leben // Sie durchbrechen heißt alles“, formulierte Ilse Hehn damals in dem Text „Parolen“ als Zielsetzung ihres Schreibens, das für sie eine auch ins Gesellschaftliche zu übertragende Geste der Befreiung bedeutete.

Eingedenk der Erfordernis eines bedachten Umgangs mit der Sprache ist ihre Lyrik am wirksamsten dort, wo eindringliche Beobachtung ins genaue poetische Bild umgesetzt ist. Besondere Erfahrungswerte übermitteln Gedichte mit unverkennbar autobiographischem Hintergrund. Eingebracht werden darin Landschaften der Herkunft, die Ankunft in Deutschland und das wachsende Einleben in die neuen Verhältnisse. Immer wieder wehrt sich die Lyrikerin gegen die Routine des oberflächlich-gleichgültigen oder vereinnahmenden Umgangs miteinander, durch die die zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch der Vollwert des Einzelnen bedroht sind.

Ein unterkühltes, manchmal melancholisch grundiertes Parlando, das die Emotionalität keineswegs ausspart, ist bezeichnend für die Tonlage der Lyrik Ilse Hehns. Einprägsame spruchhafte Texte stehen neben längeren Erzählgedichten, berührende Liebesgedichte neben Pastellen und Impressionen, die mitunter an die japanische Landschaftsmalerei erinnern.

 

Eduard Schneider


© Copyright 2007 by Ilse Hehn