„Mein Rom. Wortbogen“


ES GRÜSST DER GENIUS LOCI

Während gleich um die Ecke auf dem Hauptboulevard Ponte Umberto noch hippes Gequatsche Gucci-Behangener in der Luft schwirrt, bin ich hier am Tiberufer mitten im Alltagsgrau Roms. Gehe Richtung Engelsbrücke. Über mir recken die Platanen ihre riesige Kronen über den Rand der Ufermauer, links liegen die tief gelegenen Häuser der Via Tor di Nona im fahlen Tagesschatten, Gebäude, schmal und hoch wie Krücken, rechts zieht der Tiber in einem steinernen Korsett träge seine Schleifen. Greller Glanz auf dem Wasser.

Da ist es, das geflügelte Pferd, der Engel unter den Pferden. Ich suche es jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme. Der sienafarbene Putz der Hausfassade ist vor allem am Kopf des Pferdes sehr abgebröckelt, unter dem linken Hinterbein, das schwungvoll ausschlägt, hängt eine alte Straßenlaterne. Vor einigen Fenstern trocknet Wäsche am Seil. Neben der kleinen dürftigen Haustür mit der Nummer 28 parken ein blaues Auto und eine rote Vespa. Nummer 30, mit Rundbögen über den Fenstern und einem steinernen Türbogen, scheint sich längst der Tristesse seiner Nachbarschaft angepasst zu haben.

Für manchen Geschmack gibt es bestimmt geglücktere Formen der Verschönerung heruntergekommener Häuserfassaden als dieses Pegasus-Fresko, von irgendeinem Hausbewohner mit poetischer Hand zwischen zwei Fenstern gepinselt. Doch ich mag es. Vielleicht auch, weil es mich an das Titelgedicht von Sylvia Plaths Buch „Ariel“ erinnert – darin reitet S.P. ein Pferd, das in die Sonne abzuheben scheint. Ein Ritt, ein Flug, ein Abheben ins Licht, hinweg über eine nur fadenscheinig erlebte Wirklichkeit. Ein Stirb und Werde, ein Übergang von einer Daseinsebene in die andere.

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PASSION PASSÈ

Mein Spaziergang über die Ponte Sant’Angelo ist Spaziergang zwischen Prunk, Schwulst und Handel. Auf der Erde lümmeln im Hocksitz Verkäufer, meist dunkelhäutig, bieten ihre Ware an, über ihnen werden die Leidenswerkzeuge der Passion Christi in barockem Pathos präsentiert. Keine Lust, kein Leid verspüren sie dabei – die allegorisch aufgedonnerten Engelsfiguren des großen Bernini. Passion passé. Dabei ging’s auf seinem privaten Skizzenblock viel knackiger zur Sache und in sinnlicheren Dimensionen. Seine „Heilige Theresa in Verzückung“ in der Kirche Santa Maria della Victoria strahlt laut bigotter Kritik etwas zu deutlich Sinnesfreude aus. Profane Kunstbanausen nennen die Marmorgruppe ohne viel zu fackeln schlichtweg „Den Orgasmus der Heiligen Theresa“.

Jenseits der Brücke lag einst der Borgo. Doch die allzu engen Gassen und Winkel dieses Randviertels störten Mussolini. Er ließ sie einfach abreißen, als Schutt wegkarren, Paläste und Kirchen wurden auf die Seite geschoben und eine neue breite Via de Conciliazioni öffnete den Großen der Geschichte den Blick auf den Peters-Komplex. So radikal kann man bauen.

Mir irgendwie bekannt. Während der Ära der „Bau-Renaissance“ zur Zeit des Diktators Nicolae Ceausescu passierte Ähnliches in der rumänischen Hauptstadt Bukarest.

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SIXTINISCHE KAPELLE

So viel Farbe war nie. Hart und kräftig in eindrucksvolle Umrisse gemeißelt. Das Drama der Menschheit, von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht, die Geschichte von Schuld und Sühne.

 

Michelangelo Buonarroti. Das ist sein Spiegel, den er uns vorhält. Das ist sein Trumpf.

 

Zahllose Besucher in der kleinen, hohen Kapelle.

Keiner, der lächelt.

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INMITTEN LICHT UND DUNKELHEIT

Dieses Niederstürzen des Paulus, Niedergeworfenwerden vom Licht!

Es geschah nicht – es geschieht jetzt, wirklich.

   (Caravaggio: „Bekehrung des Paulus“, Cerasi-Kapelle, Santa Maria del Popolo)

 

Keine Landschaft, nur die Körper. Der Körper. Kräftige, zupackende Arme, hervortretende Venen, schmutzige Fingernägel, staubige Fußsohlen. Das Zusammenrücken der Figuren, die Verschränkung ihrer Gliedmaßen – welch dichtes Raumfeld. Erdfarben, aus denen nur ein leuchtendes Weiß, etwas Rot hervortreten.

Das einfallende Licht, in dem Bild „Bekehrung des Paulus“ noch gebündelt, streut sich hier auf sämtliche Personen. Dahinter nichts als die umschließende, die abschließende Dunkelheit.

   (Caravaggio: „Die Kreuzigung des Petrus“, Cerasi-Kapelle, Santa Maria del Popolo)


© Copyright 2007 by Ilse Hehn